Ich über Mich

Die Voraussetzungen waren gut: durch meine musikausübenden Eltern sog ich Musik quasi wie mit der Muttermilch auf. Mit fünf Jahren durfte ich sogar schon unseren Schallplattenspieler bedienen und lernte so all die Musik kennen, die in den Rillen gespeichert war. Das führte auch dazu, dass bis Heute mein Hobby das Sammeln von Tonträgern aller Art ist und einige Wände in unserem Haus ein pittoreskes Bild durch die Vielzahl an Platten, CDs und DVDs abgeben. 

Ein Steckenpferd von mir ist die vergleichende Interpretation, denn wie interessant ist es für einen ausübenden Künstler, Interpretationen von den Anfängen der Musikaufzeichnung bis heute miteinander anzuhören und ihre Unterschiede mit Freunden abzuwägen und einzuordnen.

Das Klavier zu unterrichten begann ich schon im Internat, um mein Taschengeld aufzubessern. Nach dem Musikstudium lehrte ich an verschiedenen Musikschulen, Hochschulen und privat. Die parallel dazu zunehmende Konzerttätigkeit erweiterte mein Repertoire, das vom Barock bis in die gemäßigte Moderne reicht – von Bach bis Bartók.

Mein während der Schulzeit einsetzendes Interesse für Technik und Optik führte dazu, dass ich mich für Motorräder und Fotografie begeisterte. Für manchen Konzertveranstalter war es Jahre später eine Überraschung, mich in Motorradmontur samt Sturzhelm unterm Arm zu empfangen. Meine Technikleidenschaft ging sogar so weit, dass ich meine diversen Motorräder für Wartungszwecke teilweise zerlegte und die Fülle der Einzelteile in nummerierten Schachteln unter meinem Flügel aufbewahrte. Nach dem Wiederzusammenbau war es eine freudige Genugtuung, wenn die Maschine wieder ansprang.

Ich wurde älter und meine Interessen verlagerten sich in Richtung Hi-Fi. Als in Stuttgart Ansässiger bekam ich Kontakt zu Journalisten vom AUDIO-Verlag. Die Redaktion bezog nach und nach mein Hörurteil in ihre Bewertungen mit ein und als Freier Journalist habe ich dann Jahre für AUDIO zahlreiche Beiträge verfassen können.

Über Svjatoslav Richter

Oft werde ich gefragt, wie ich Svjatoslav Richter kennengelernt habe.

Das waren Glück und Schicksal! Die Spanne dauerte von unserer ersten Begegnung bis dahin, dass der Maestro schließlich am 30. März 1995 in Lübeck mit mir zusammen sein letztes Konzert gab und danach noch bis zu seinem Tod am 1. August 1997.

Der Reihe nach: Richter war mein Vorbild geworden, als ich in frühen Jahren seine ersten Schallplatten zu hören bekam. Sein ungeheuer reicher Klavierklang, die geradezu plastisch spürbare physische Präsenz und die wunderbare Aura, die sein Spiel umhüllte, haben mich buchstäblich gepackt und auch geprägt. Persönlich begegnet bin ich ihm schon 1978 bei Filmaufnahmen in Schloss Ismaning. Kennengelernt habe ich ihn jedoch im April 1983, als er einen Chauffeur brauchte und ich für diese Aufgabe ausgewählt wurde und dann für Jahre erfüllte, verbunden mit dem Umblättern in seinen Konzerten. Lange hat es gedauert, bis ich mich traute, ihm eine Kassette von einem meiner Konzerte zu geben. Er war begeistert. Wiederum Jahre später bat er mich, ihm zu korrepetieren. Ein unglaubliches Erlebnis waren diese Tage gemeinsamen Arbeitens und wir waren musikalisch so übereinstimmend, dass er mich auf der Rückfahrt von einer Probe einlud, mit ihm im Jahr darauf an zwei Klavieren Max Regers „Beethoven-Variationen“ aufzuführen. Unsere Proben begannen am 28. Mai 1994 und das erste Konzert war am 1. Juli in Schliersee. Das zweite Konzert vom 3. Juli in Wildbad-Kreuth ist auf einer CD-Aufnahme dokumentiert.

Künstlerisch und menschlich waren die Jahre von 1983 bis 1997, die ich bei und mit Svjatoslav Richter erleben durfte, in meinem Leben eine Realität geworden, von der ich bis heute zehre.

Herzlichst

Ihr Andreas Lucewicz